Carl-Schmitt-Chronik (In Bearbeitung)

Eine Kurzbiographie über Carl Schmitt zu schreiben, ist aufgrund der vielen Bezüge, Doppeldeutigkeiten und umstrittenen Auslegungen zu Schmitts Haltung in der NS Zeit und im Nachkriegsdeutschlands, eine kaum zu leistende Arbeit. Die Diskussion über Leben und Werk sollte aber auf der Grundlage gesicherter Tatsachen stattfinden. Die Gesellschaft hat deshalb die Absicht, entscheidende Daten in Form einer Chronik zu publizieren. Die Veröffentlichung wird schrittweise erfolgen und  mit der Zeit wachsen. Das folgende Datengerüst ist also ausdrücklich als vorläufig und als Skizze zu betrachten.     

Louise und Johann Schmitt,1930er Jahre

Kindheit und Jugend

Am 11. Juli 1888 wurde Carl Schmitt in Plettenberg/Westfalen geboren. Der Vater Johann Schmitt (1853–1945) stammte aus Bausendorf im Tal der Alf, einem linken Seitenfluss der Mosel. Er war zunächst Postangestellter, ging dann in den Eisenbahndienst und kam 1876 nach Plettenberg. Dort gab er seine Beamtenstellung auf und wurde kaufmännischer Angestellter in der Firma Graewe & Kaiser. Nach 50 Jahren trat er 1928 in den Ruhestand.

Die Schüler der Schlafstube II A vor ihrem Konvikt in Attendorn im Winter 1902/3. In der Mitte Carl Schmitt

Die Mutter Louise geb. Steinlein (1863 –1943) stammte aus Trier; ihre Vorfahren kamen aus der Eifel. Carl Schmitt hatte drei Geschwister, die ältere Schwester Auguste (1891 – 1992), den Bruder Joseph (1893 – 1970) und die jüngere Schwester Anna Margarethe (1902 – 1954). Aus der ersten Ehe des Vaters hatte er zwei Halbgeschwister. Die Mutter Louise Schmitt war in einem französischen Internat erzogen worden, sie brachte ihren Kindern Französisch und Klavierspiel bei.

Ab Ostern 1894 besuchte Carl Schmitt die katholische Volksschule in Plettenberg. Nach sechs Jahren wechselte er auf Empfehlung des Pfarrers Fischer, der dem Volkschüler schon in Latein unterrichtet hatte, in die Quarta des staatlichen Gymnasiums der kurkölnischen Nachbarstadt Attendorn, ca. 15 km von Plettenberg entfernt. Mit der Bahn war die Strecke umständlich und fast doppelt so lang, sodass der junge Schmitt an den Wochenenden und zu den Ferien den Weg oft zu Fuß machte.

Student um 1910

Studienzeit

Nach dem Abitur 1907 schwankte Schmitt zwischen einem Philologie- und einem Jurastudium, entschied sich schließlich für letzteres und begann im Sommersemester 1907 dieses Studium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Dort erlebte er ein ‚enthegelianisiertes‘ Großpreußentum mit wilhelminischen Figuren wie Wilamowitz-Moellendorff und Josef Kohler. 1908 wechselte er nach München und 1908/09 nach Straßburg, wo er 1910 das erste Staatsexamen ablegte und im selben Jahr auch mit der Dissertation Über Schuld und Schuldarten. Eine terminologische Untersuchung  promovierte. Darin vertrat er gegenüber dem moralistischen Standpunkt des Individuums den juridischen Standpunkt der normativen Orientierung am kollektiven Recht. Das Referendariat absolvierte Schmitt am Oberlandesgericht Düsseldorf; im Februar 1915 legte er das Assessorexamen ab. 1912 erschien sein Buch Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis. Am Beispiel der richterlichen Entscheidung betonte Schmitt die relative Selbständigkeit richterlicher Entscheidungen gegenüber dem Festgelegtsein durch den Gesetzestext. Die Habilitationsschrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen erschien 1914. Daneben publizierte er kleinere Artikel für die Kulturzeitschrift Die Rheinlande und Besprechungen von Mauthners Wörterbuch der Philosophie und von Walther Rathenaus Kritik der Zeit, mit dem er einen Briefwechsel hatte.

Schmitt führte lebenslang Tagebuch in Gabelsberger Kurzschriftschrift. Die Überlieferung setzt 1912 ein und dokumentiert ein chaotisches Leben mit ständiger Geldnot. In dieser Zeit lernte Schmitt den Düsseldorfer Notar und späteren preußischen Justizminister Hugo am Zehnhoff kennen und befreundete sich mit dem Dichter Theodor Däubler; beide sollten ihm prägende Figuren werden. Davor waren Ibsen und Richard Wagner seine Hausgötter. Die Verbindung mit der Tänzerin Pauline Marie Dorotic, die sich den Künstlernamen „Carita“ beilegte und von Schmitt „Cari“ genannt wurde, führte 1915 zur Ehe. Erst nach Jahren erkannte Schmitt, dass die Frau ihn mit der Behauptung adeliger Abkunft getäuscht hatte; dieser Betrug wurde ihm zum lang anhaltenden Trauma. Der Studienfreund Fritz Eisler, mit dem er während der Assessor-Zeit die satirischen Texte der Schattenrisse (1913) verfasst hatte, fiel als Soldat am 12.9.1914. Zu dessen Bruder Georg entwickelte sich eine enge Freundschaft.

Privatdozent 1917

Militärdienst und akademische Karriere

Ab Februar 1915 ist Carl Schmitt Kriegsfreiwilliger beim Ersatz-Batallion des bayerischen Infanterie-Leibregiments, ab März 1915 beim Generalkommando des I. bayerischen Armee-Korps München. Dort war er Leiter des Referats P6 mit Zuständigkeit für Überwachung der Friedensbewegung, Beschlagnahme von Druckschriften u.a. Am 1. April 1919 erfolgte die Versetzung zur Stadtkommandantur, am 1. Juli 1919 die Entlassung aus dem Heeresdienst.

Förderung erfuhr Schmitt durch den Strafrechtler Fritz van Calker, vor allem bei der Habilitation in Straßburg im Jahr 1916. Im selben Jahr veröffentlichte Schmitt die Studie Theodor Däublers „Nordlicht“; Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes. Schmitt wohnte in dieser Zeit in München, nahm aber zugleich eine Dozentur in Straßburg wahr. Mit Kriegsende war das abrupt vorbei; Schmitt musste sich in München umhabilitieren. Im WS 1919/1920 war er hauptamtlicher Dozent an der Münchner Handelshochschule, gefördert von deren Rektor Moritz Julius Bonn. Eine seiner Vorlesung behandelte die Geschichte der politischen Ideen. Schmitt gehörte auch zu den Teilnehmern des 14tägigen Dozentenkolloquiums von Max Weber.

Carl Schmitt, November 1926

Erste Werke, die Aufmerksamkeit erregten, waren Politische Romantik (1919) und Die Diktatur (1921). In der Monographie Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf etablierte er die Unterscheidung zwischen ‚kommissarischer‘ Diktatur, die mit vorübergehenden Maßnahmebefugnissen die Wiederherstellung der alten Ordnung zu erreichen trachtet, und ‚souveräner‘ Diktatur, die eine verfassunggebende Gewalt unter Berufung auf Gott, die Nation oder das Volk, aber ohne Bindung an eine Verfassungsordnung bezeichnet. In dem Buch Politische Romantik kritisierte er das Unernste, Nur-Ästhetische der bürgerlichen Romantiker, die sich aufgrund ihrer seelischen Erschütterungen nicht entscheiden können und deshalb opportunistisch reagieren; das zeigte Schmitt bevorzugt an dem Staatstheoretiker Adam Müller und bezeichnet diese Haltung als subjektiven Occasionalismus.

In München machte Schmitt Bekanntschaft mit dem Schriftsteller und Zeitschriftenherausgeber Franz Blei, in dessen Zeitschrift „Summa“ (4 Bände, 1917-1918) er drei wichtige Beiträge veröffentlichte, darunter die Satire auf Tagebuchschreiber Die Buribunken. Ein geschichtsphilosophischer Versuch. Zum weiteren Bekanntenkreis gehörten unter anderen die Schriftstellerin Alice Berend, der Maler Richard Seewald, der Künstler Albert Paris Gütersloh, der Verleger Jakob Hegner und der Kierkegaard-Herausgeber Theodor Haecker. Zum Wintersemester 1920/21 wurde Schmitt auf ein Ordinariat an der Universität Greifswald berufen, ab dem Sommersemester 1922 war er in Bonn Nachfolger von Rudolf Smend als Professor für öffentliches Recht. Zusammen mit seinem Kollegen Erich Kaufmann leitete er das „Seminar für wissenschaftliche Politik“, begriff also sein Fach auch dezidiert politisch.

Carl Schmitt mit Duska Todorovic

Zu dieser Zeit war seine Ehe längst zerrüttet. Schmitt hatte mehrere Geliebte, darunter die Irin Kathleen Murray, deren Dissertation Taine und die englische Romantik er wesentlich mit verantwortet, und bei deren Doktorvater Ernst Robert Curtius er sich für sie einsetzte. 1923 lernte Schmitt die Studentin Duska Todorovic, die zur serbischen Minderheit in Kroatien zählte, kennen und heiratete sie 1926, nachdem die erste Ehe 1924 zivilrechtlich geschieden wurde; seine Versuche, auch eine kirchenrechtliche Annullierung zu erreichen, scheiterten in der ersten und zweiten Instanz.



Das Foto entstand anlässlich des Besuches der Eltern im Juni 1927, links stehend Schmitts Schwester Anna. Es zeigt die Gartenseite der Villa in Friesdorf, Bonner Allee 211, heute ist sie ein Teil der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Bonner Zeit – Die Standardwerke

Im Jahr seines Wechsels nach Bonn publizierte Schmitt eine seiner einflussreichsten Schriften, Politische Theologie, deren Eingangssatz „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ zu einem geflügelten Wort geworden ist. Hier formulierte er die Grundlagen einer „dezisionistischen“ Rechtstheorie, wonach „die souveräne Entscheidung normativ betrachtet aus einem Nichts geboren ist“. In der Debatte um das Verhältnis von Katholizismus und Moderne nahm Schmitt Stellung in seinem Essay Römischer Katholizismus und politische Form (1923), in dem er die historische Kontinuität der katholischen Kirche und deren juristische Form eines personalen Rationalismus betonte, der gegen das unpersönliche ökonomische Denken der Moderne gerichtet ist. Gleichzeitig kann darin auch eine Auseinandersetzung mit Max Webers Charisma-Konzept gesehen werden, dem Schmitt Repräsentation, Form und geistige Autorität im politischen Kampf entgegensetzte

Mit diesen Schriften und der dann folgenden über Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), in der er den liberalen Parlamentarismus-Begriff mit dem Glauben an die Wahrheit und Richtigkeit durch öffentliche Diskussion im Parlament kritisierte, wurde Schmitt in der Öffentlichkeit mehr und mehr bekannt. Im linksrheinischen Bonn erlebte er die Folgen des Versailler Vertrags durch die Kontrollen der französischen Besatzungsmacht nach dem sog. Ruhrkampf. Die Kritik an dem Vertrag und dem Völkerbund in Genf formulierte er erstmals in seiner Schrift Die Kernfrage des Völkerbunds und in dem Vortrag Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik, den er 1925 nach Kontakten zur Zentrumspartei auf deren „Jahrtausendfeier“ in Köln hielt.

Portrait 1920er Jahre

Schmitt war an der Universität ein Star, dessen Vorlesungen Studenten, aber auch manche Kollegen und Bonner Bürger besuchten. In seinem Seminar versammelte sich eine Schülerschar, aus der bedeutende Juristen hervorgegangen sind, wie Ernst Forsthoff, Werner Weber, Ernst Rudolf Huber, Werner Becker, Ernst Friesenhahn, Otto Kirchheimer und später Franz Neumann; enge Kontakte hatte Schmitt zu dem Theologen Erik Peterson, der Trauzeuge bei seiner zweiten Hochzeit war, seinem lebenslangen Duzfreund Heinrich Oberheid und dem im Umgang schwierigen Publizisten Waldemar Gurian, den er verantwortlich machte für die zerbrochene Freundschaft mit Hugo Ball. Eine der wichtigsten Folgen der Seminar-Diskussionen war die Schrift Der Begriff des Politischen, deren erste Auflage 1927 erschien und der bald weitere folgten. Dessen erster Satz („Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“) ließ die bisherige Staatsrechtsdiskussion obsolet werden. Noch berühmter und umstrittener wurde der Kernsatz „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich politische Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind“. Bis ins hohe Alter betonte Schmitt, dass diese Unterscheidung als Kriterium des Politischen dort seinen Ursprung hatte.

Verlag von Duncker und Humblot, München-Leipzig, 1928

Als Vortragender war er ebenso gefragt wie als Gutachter. Er reiste viel, vor allem nach Frankreich, wo er in dem Kreis um Jacques Maritain enge Freunde fand, aber auch Kontakte zu juristischen Kollegen suchte. Im Sommer 1925 besuchte er mit seiner Frau deren kroatische Heimat, die er antikisch mit Illyrien (so der Titel seines Reiseberichts 1925) bezeichnete. Gegen Ende seiner Bonner Zeit verfasste er sein einziges systematisches Werk, die Verfassungslehre (1928). Da für ihn die Epoche der Staatlichkeit zu Ende ging, war eine ‚Staatslehre‘ obsolet, deshalb schrieb er anhand der Weimarer Verfassung die erste systematische Theorie des modernen Verfassungsstaates.

Bericht über Carl Schmitt und seinen Vortrag zu Donoso Cortès in Madrid. ABC, 24.10.1929
Anfang der 1930er Jahre neben Moritz Julius Bonn bei einem Examen in der Handelshochschule Berlin
Rede zur Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1930 in der Handelshochschule Berlin

Die Berliner Zeit – Am Zentrum der Macht

Schmitt strebte nach dem Machtzentrum Berlin und nahm nach langwierigen Verhandlungen einen Ruf an die dortige Handelshochschule für das Sommersemester 1928 an. Der Kritiker der indirekten Gewalten wollte sein theoretisches Werk durch praktisch-politisches Wirken ergänzen. Während er in Bonn Politikern noch mit Reserven begegnet war, kam es in Berlin bald zu Kontakten auf der politischen Ebene von Staatssekretären und höheren Ministerialen, etwa im Innen- und besonders im Finanzministerium mit dem dortigen Staatssekretär und späteren preußischen Finanzminister Johannes Popitz.

Dieser wurde bald ein enger Freund und sollte Schmitt 1933 zu seinem NS-Engagement bewegen. Unter den Juristen stand Rudolf Smend ihm in dieser Zeit am nächsten, hinzu kamen die Kollegen Bilfinger in Halle und Jacobi in Leipzig; an der Handelshochschule hatte er näheren Umgang mit seinen Kollegen Werner Sombart, Moritz Julis Bonn, Götz Briefs und Herbert Dorn; er traf den jungen Leibholz und las dessen Habilschrift über das Wesen der Repräsentation in den Fahnen.

Am Nordrand des Tiergartens fand Schmitt eine Wohnung mit Hilfe seiner alten Münchner Freundin, der Schriftstellerin Alice Berend, deren Schwester Charlotte mit ihrem Mann Lovis Corinth Vormieter waren. In dieser Zeit lag seine Frau Duschka in San Remo im Krankenhaus, wo sie ihre Tuberkulose auszuheilen versuchte. Da sich ihr Zustand im Frühjahr 1929 verschlimmerte, reiste Schmitt dorthin und rechnet mit dem Tode seiner Frau. Sie wurde dann im Sommer in St. Gallen mehrfach operiert und geheilt.

An der Handelshochschule hatte Schmitt mit seinen Vorlesungen wie in Bonn großen Erfolg, sodass Studenten von der benachbarten Friedrich-Wilhelms-Universität in Scharen zu ihm kamen. Am 18. Januar 1930 hielt er zur Reichsgründungsfeier in der Aula der Handelshochschule seine viel beachtete Rede über Hugo Preuß, dem Vater der Weimarer Verfassung. In dieser Zeit besuchte er regelmäßig Vorträge in der Deutschen Hochschule für Politik, hielt dort selbst welche und wurde zur Ausbildung des diplomatischen Nachwuchses im Auswärtigen Amt herangezogen. In den elitären politischen Zirkeln der Hauptstadt war er bald als Teilnehmer und Diskutant gefragt, das galt besonders für die ‚Deutsche Gesellschaft 1914‘.

In der durch wachsende Instabilität geprägten politischen Lage in den späten 20er Jahren stellte sich für Schmitt die Frage nach der Staatsautorität. Jetzt wurde der von Benjamin Constant entlehnte Begriff des ‚pouvoir neutre‘ für ihn zentral. Angesichts des wachsenden Einflusses von Interessentengruppen und antidemokratischer Parteien auf der Linken und der Rechten galt es, die Bedingungen der Möglichkeit staatlichen Handels zu klären. Schmitts Antwort bestand in der Schrift Der Hüter der Verfassung, eine Weiterführung seiner Verfassungslehre und eine Programmschrift zur Einführung einer Präsidialverfassung, Die staatliche Handlungsfähigkeit sollte durch die plebiszitäre Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten als eines ‚pouvoir neutre‘ zurückgewonnen werden.

Aus Begeisterung für Ibsens Dramen ritzte Schmitt als Schüler ein Großes „I“ in den Schieferfelsen des Berges Saley nahe seiner Heimatstadt. Das Foto zeigt ihn vor dem sogenannten Ibsenstein.
Das Handexemplar von Legalität und Legitimität enthält auf beiden Titelei-Seiten spätere handschriftliche Hinweise Schmitts auf die 1958er Krise in Frankreich, die durch abtrünnige Militärs in Algerien verursacht wurde, und ob diese Krise legal zu überwinden wäre, also „Die Tür zur Legalität“ offenbliebe.

Das Ende der Republik

Zu den alten Freunden Franz Blei, Georg Eisler und Erik Peterson kamen jetzt Ernst Jünger und dessen Umfeld mit Ernst Niekisch und Veit Rosskopf. Schmitt hatte Kontakte zu Publizisten wie Paul Adams mit der Zeitschrift Germania, Friedrich Vorwerk mit dem Ring, Ernst Wilhelm Eschmann und Giselher Wirsing mit der Tat, Wilhelm Stapel mit dem Deutschen Volkstum und Prinz Rohan und Joachim Moras mit der Europäischen Revue, dagegen gab er die Zusammenarbeit mit dem katholischen Hochland auf. Für die Atmosphäre der Zeit war typisch, dass Schmitt auch an einer Sitzung der Arbplan (Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Planwirtschaft in der Sowjetunion) teilnahm, in der neben Ernst Jünger und Niekisch von linker Seite Karl August Wittfogel und Georg Lukacz anwesend waren.

Durch Vermittlung Bleis konnte er die Fahnen von Musils Mann ohne Eigenschaften lesen, er hielt Rundfunkvorträge, sah Stummfilme, den Klassiker zum Prozess der Jeanne d’Arc von Carl Theodor Dreyer mindestens zehnmal. Im August 1931 wurde Schmitts Tochter Anima geboren.
Ab 1930 regierte Reichskanzler Brüning ohne parlamentarische Mehrheit mit Hilfe des Notverordnungsrechts nach § 48 der Weimarer Reichsverfassung. Versuche Carl Schmitts, in der konkreten Politik mitzuwirken, durch Kontakte z. B. zu Brüning, den er aus der Bonner Zeit kannte, scheiterten. Das änderte sich mit der Kanzlerschaft Papens. Als nach dem Preußenschlag vom 20. Juli 1932 die abgesetzte Regierung des Landes Preußen beim Staatsgerichtshof in Leipzig Klage erhob, wurde Schmitt von der Reichsregierung als einer ihrer Prozessvertreter beauftragt. Auch hatte er inzwischen enge Mitarbeiter von Reichswehrminister Schleicher kennengelernt, wie Erich Marcks und Eugen Ott.

In dieser Krisenzeit veröffentlichte Schmitt die Schrift Legalität und Legitimität mit ihrer Kernthese, dass nach dem herrschenden juristischen Positivismus die Substanz der Verfassung geändert werden könne, ohne dass politisch nach Freund und Feind gefragt werde, mit der Folge, dass auch verfassungsfeindlichen Parteien der Zugang zur Macht nicht verwehrt werden könne. Der liberale Gesetzgebungsstaat setze bei Parteien eine ‚legale Gesinnung‘ voraus, so dass Gegner eine gleiche Chance auf politische Machtgewinnung bekämen. Gelänge es einer verfassungsfeindlichen Partei, legal an die Macht zu kommen, könne sie die Tür der Legalität hinter sich schließen. Das wäre dann eine ‚legale Revolution‘. Ein Ausweg aus der Unfähigkeit des Weimarer Parlamentarismus, stabile Regierungen zu bilden, war für Schmitt die Etablierung eines Präsidialsystems mit einem vom Volk gewählten Reichspräsidenten, der den unter dem Druck von Interessentengruppen quantitativ total gewordenen pluralistischen Parteienstaat ablöst und einen qualitativ totalen Staat schafft, der die neuen technischen Machtpositionen ergreift und Film und Rundfunk monopolisiert – später wird Schmitt präzisieren, dass nicht Staaten, sondern nur Parteien Träger der Totalität sein können.

Nach der Ernennung Schleichers zum Reichskanzler Anfang Dezember 1932 war Schmitt durch Ott und Marcks in aktuelle Staatsnotstandspläne zur Verhinderung des Machtantritts Hitlers eingebunden, die nach dessen Ernennung zum Reichskanzler Ende Januar 1933 obsolet wurden. Inzwischen hatte Schmitt einen Ruf an die Universität Köln zum Sommersemester 1933 angenommen und sich damit von der Reichshauptstadt distanziert.

„Der Blick in das Dritte Reich“ Titelseite der Zeitschrift Der Wirtschafts-Ring, Heft 47 v. 23. November 1934
Einladung zu Carl Schmitts Vortrag „Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ im Harnack-Haus der KWG am 21. Februar 1934
Gästeliste zum Präsidentenessen der KWG im Harnack-Haus am 16.1.1934.  Teilnehmer u.a. Dr. Schmitt (Reichswirtschaftsminister), von Reichenau  (Oberst u. Chef des Ministeramtes d. Reichswehrministeriums), Eduard Spranger, Carl Schmitt, Rudolf Smend, Guderian (Oberst), [Victor] Bruns

Die NS-Zeit (1933-1936)

Die ersten Reaktionen Schmitts auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler waren verhalten, es sei wie im Urwald, man wisse nicht, ob er eine Taube oder eine Schlange sei. Das änderte sich mit dem von einer Reichstagsmehrheit aus NSDAP, Zentrum und bürgerlichen Parteien beschlossenen Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, dessen revolutionäre Bedeutung Schmitt sofort erkannte und in einem Artikel kommentierte. Als er dann auf der Oster-Reise nach Rom von seinem Freund Johannes Popitz, dem preußischen Finanzminister, und von Papen am 31.3. in München ein Telegramm erhielt, in dem er für den nächsten Tag in das Staatsministerium in Berlin gebeten wurde, um am Reichsstatthalter-Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mitzuarbeiten, änderte er seine Pläne und kehrte nach Berlin zurück. Während des Arbeitens am Gesetz lernte er mehrere Größen des Regimes kennen, vor allem imponierte ihm wohl Hermann Göring. Bei einem Presseempfang sah er zum ersten und einzigen Mal auch Hitler aus nächster Nähe.

Zu dieser Zeit zog Schmitt mit der Familie nach Köln und nahm seine Lehrtätigkeit an der dortigen Universität auf. Ende April trat er in die NSDAP ein und lernte lokale NS-Aktivisten kennen. Jetzt veröffentlichte er in Parteizeitungen wie „Westdeutscher Beobachter“ und „Völkischer Beobachter“ zahlreiche, oft polemische Artikel, die vom Geist der ‚neuen deutschen Revolution‘ durchtränkt waren. Im Juli 1933 wurde Schmitt von Göring in den neuen Preußischen Staatsrat berufen; die von ihm damit verbundene Hoffnung auf größeren politischen Einfluss erfüllte sich nicht. Durch seine enge Bindung an den Parteijuristen Hans Frank, bayerischer Justizminister und Reichjustizkommissar, erhielt er einflussreiche Ämter in der Akademie für deutsches Recht und wurde Leiter der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ). Auf dem Leipziger Juristentag im Herbst 1933 war Schmitt einer der Hauptredner zum Thema Neubau des Staats- und Verwaltungsrechts.

Inzwischen hatte er Rufe von der Heidelberger und der Münchner Universität erhalten, folgte jedoch einem auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl an der Berliner Universität, den er schon zum 1. Oktober annahm und wo er am 8. November seine erste Vorlesung hielt. Auch wechselte Schmitt von seinem Hausverlag, Ludwig Feuchtwangers Duncker & Humblot mit seiner 1848er-Tradition zur Hanseatischen Verlagsanstalt Wilhelm Stapels und veröffentlichte dort neben einer der Zeit angepassten Neuauflage vom Begriff des Politischen (1933) in der von ihm herausgegebenen Reihe Der deutsche Staat der Gegenwart seine Schrift Staat, Bewegung, Volk (1933), mit der er eine verfassungsrechtliche Einhegung der revolutionären Lage nach dem Ermächtigungsgesetz beabsichtigte. In dem Einparteienstaat gebe es die ‚Dreigliederung der politischen Einheit‘ im ‚Dreiklang von Staat, Bewegung und Volk‘, in dem die Bewegung das ‚politisch- dynamische‘ Element sei zwischen dem ‚politisch-statischen‘ Teil des Staates und dem ‚unpolitischen: des Volkes. Ein vom Führer ausgewählter ‚Führerrat‘, den er im Preußischen Staatsrat sah, sichere die Berücksichtigung fachlicher und regionaler Notwendigkeiten. Grundlage für die Führung sei die Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft. Doch das emphatisch proklamierte Führerprinzip führte in der Realität nicht zur Konzentration der Entscheidungskompetenzen, sondern in den Machtkampf der NS-Führungseliten mit dem Ergebnis einer „Polykratie“, wie Schmitt es später selbst erkannte. Ebenfalls in diesem Jahr erschienen von ihm weit verbreitete Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis (1933), womit er an die bisherigen Generalklauseln anknüpfte, um auf deren unbegrenzte Auslegung auf die Grundzüge des NS einzuschwören.

In der Abhandlung Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934) ergänzte er seine frühere Unterscheidung von Normativismus und Dezisionismus um das ‚Konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken‘. Der juristische Positivismus des 19. Jahrhunderts werde überwunden durch ein institutionelles Ordnungsdenken, wobei sich Schmitt auf den französischen Theoretiker Maurice Hauriou berief. Die ’konkrete Ordnung‘ eines Volkes sei dessen ‚Nomos‘ – hier tauchte zum ersten Mal der später für Schmitt so wichtig gewordene Begriff auf. Die Frage der Rechtsbegründung sollte in den konkreten Lebensordnungen und Institutionen des Zusammenlebens der geschichtlichen Wirklichkeit verankert werden, aus denen das Recht sich bilde und seine normative Wirkung entfalte. In der damaligen aktuellen Situation war nach Schmitt Hitler der Führer des deutschen Volkes, dessen Willen der ‚Nomos der Deutschen‘ wäre. In der ersten Hälfte des Jahres 1934 hielt Schmitt weitere Vorträge zu Themen wie Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, die Rechtswissenschaft im Führerstaat und Nationalsozialismus und Rechtsstaat, in denen er eine juristisch-institutionelle Sinngebung des Nationalsozialismus versuchte. Gleichzeitig erweiterte er seinen Einflussbereich mit der Herausgeberschaft der Deutschen Juristenzeitung, deren erstes Heft er mit einem Aufruf zur Gleichschaltung der Justiz einleitete.

Notizen Carl Schmitts auf der ersten Seite des Artikels „Der Führer schützt das Recht“, Deutsche Juristenzeitung v. 1. August 1934

Als die SA-Führung eine ‚zweite Revolution‘ und ein NS-Volksheer forderte, nahmen die Spannungen zwischen Staat und Partei zu. Da Hitler das Militär und die Funktionseliten des Staates für seine Pläne brauchte, ließ er am 30. Juni 1934 die Führung der SA und weitere Gegner des Regimes liquidieren. Das am 3. Juli erlassene Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr deklarierte die Mordaktion als rechtens. Schmitt kommentierte es in der nächsten Ausgabe der Deutschen Juristen-Zeitung mit dem Artikel Der Führer schützt das Recht. Die Morde an den SA-Führern rechtfertigte Schmitt, in dem er Hitler als höchste Rechtsquelle hinstellte, der im Augenblick der Gefahr unmittelbares Recht geschaffen habe, gleichzeitig gäbe es aber keine Legalisierung von Sonderaktionen zur Begleichung alter Rechnungen, die strengstens bestraft werden müssten, was auf die Morde an Schleicher, Edgar Julius Jung u.a. zielte, mit denen Schmitt zusammengearbeitet hatte. Im Ausland waren die Reaktionen heftig und intern nutzten Schmitts Gegner, seine herausragende Stellung zu untergraben. Bemerkenswert war die Reaktion von Schmitts Freund Ernst Jünger, der ihn schon vor Illusionen zum Einfluss von Görings Staatsrat durch einen Hinweis auf Napoleons unwichtigen Staatsrat gewarnt hatte und nun die ironische Frage stellte, ob er im Kellerfenster seines Hauses eine MG installiert habe. Schmitt begann mehr programmatische und organisatorische Schwerpunkte zu setzen, weniger verfassungsrechtlich einhegende, die er jetzt für obsolet hielt. Zwischen seinen Lehrveranstaltungen, Vortragsreisen und dem Ausbau seiner Machtposition in der Akademie für deutsches Recht und als wissenschaftlicher Berater im Institut für Völkerrecht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft suchte er wie schon in den 20er Jahren Erholung im Sauerland. Seine Vorträge und Aufsätze bewegten sich nun um den Rechtstaatsbegriff, dem er den Gerechtigkeitsstaat des NS entgegenstellte, der ein ‚unmittelbarer gerechter Staat‘ sei, und um Themen wie Nationalsozialismus und Völkerrecht.

In dieser Zeit schloss er sich politisch wie privat besonders eng an Reichsjustizkommissar Frank an, dessen Einfluss in der NS-Hierarchie allerdings begrenzt war. Gegen Ende des Jahres 1934 musste Schmitt eine erste Niederlage hinnehmen, als er als Leiter der BNSDJ-Reichsfachgruppe Hochschullehrer auf der von ihm organisierten Tagung Vorschläge für eine Studienordnung mit Kollegen entwarf, die der anwesende Referent, Schmitts früherer Kollege Karl August Eckhardt, seitens des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ablehnte. Dass sich Zweifel an der Loyalität Schmitts gegenüber dem NS-Regime mehrten, lag nicht nur an den sog. Alten Kämpfern, die dem ‚Märzgefallenen‘ von Beginn an misstrauten, sondern zunehmend an Gegnern in der SS. Das zeigte sich im Januar 1935. General von Fritsch, Chef der Heeresleitung, hatte Schmitt zu einem Vortag vor Offizieren zur Legalität eines Staatstreiches in das Reichswehrministerium eingeladen. Himmler hatte Fritsch, der Schmitt persönlich nicht kannte, daraufhin die Absicht eines Putsches unterstellt, Göring schenkte dem Glauben und Schmitt wurde am Tag des Vortrags ausgeladen, stattdessen sprach Himmler.

Zum Nürnberger Parteitag im September 1935, auf dem die sog. Rassegesetze zur Diskriminierung der Juden beschlossen wurde, verfasste Schmitt in der Deutschen Juristen-Zeitung den Artikel Die Verfassung der Freiheit, in dem er die Rassepolitik der Regierung rechtfertigte, die er als einen Kompromiss zwischen den radikalen Forderungen der Partei und dem hinhaltenden Widerstand der Ministerialbürokratie bei der Definition von „Jude“ darstellte. Auf der Tagung der International Law Association sprach Schmitt Ende November über das Thema Die NS-Gesetzgebung und den Vorbehalt des ordre public, in dem er am Beispiel des Eherechts Konsequenzen für das internationale Privatrecht durch Anwendung der gerade verabschiedete Rassegesetzgebung erörterte.
Die Organisation des Juristentages 1936 führte Anfang des Jahres zur Auseinandersetzung und Bruch mit Eckhardt und dem SD-Abteilungsleiter Reinhard Höhn, der Schmitt durch dessen Assistenten Herbert Gutjahr bespitzeln ließ.

Die SS hatte inzwischen wesentlichen Einfluss auf die jüngere Dozentenschaft als ‚neugermanischen Führernachwuchs‘ gewonnen und Schmitt als unzuverlässigen Karrieristen abgestempelt. Als Frank im April nach Rom reiste, fuhr auch Schmitt mit nach Italien und hielt Vorträge über Grundzüge des NS-Staates in Mailand und Rom. Dort wurde er in einer Privataudienz von Benito Mussolini empfangen, ein symbolischer Höhepunkt seiner Karriere in der Nähe der Macht. Im Mai fand dann der zweite große NS-Juristentag in Leipzig statt, mit einiger NS-Prominenz wie Goebbels, Gürtner und Heß; hier hielt Schmitt als Organisator keinen großen Vortrag mehr. Seine Machtstellung als Reichsfachgruppenleiter war so geschwächt, dass er in den nächsten sechs Monaten um sein politisches Überleben kämpfen musste. Sein oft schroffes Auftreten in dieser Zeit verprellte sogar enge Vertraute. Als im Stab des Stellvertreters des Führers anlässlich des Nürnberger Parteitags im September 1936 erwogen wurde, Justizminister Gürtner durch Frank zu ersetzen, mit der Möglichkeit, dass dann Schmitt Staatssekretär werden könnte, begann die SS, den Sturz von Schmitt zu planen, der die SS inzwischen offen als seinen weltanschaulichen Gegner bezeichnete.

Erste Seite der Teilnehmerliste an der Tagung „“Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ vom 4. u. 5. Oktober 1936 Teilnehmer u.a. Hermann von Mangoldt (Tübingen), Erich Jung (Marburg), Walter Hallstein (Rostock), Eugen Wohlhaupter (Kiel), Theodor Maunz (Freiburg)

Als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, Nachfolger des BNSDJ, berief Schmitt am 4. u. 5. Oktober 1936 die Tagung Das Judentum in der Rechtswissenschaft für den 4. u. 5. Oktober 1936 ein; er war sogar bereit, dazu den berüchtigten Gauleiter Julius Streicher einzuladen, der nach einem Hinweis des SD aber ebenso fernblieb wie Schmitts Förderer Frank und sogar mit Schmitt enger befreundete Kollegen und Schüler wie Forsthoff, E. R. Huber, W. Weber, Oberheid, Johannes Heckel u.a. sagten ihre Teilnahme ab. Das offizielle Ziel der Tagung, die Einflüsse des Judentums auf die deutsche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft zu untersuchen, hatte als ein verborgenes Ziel, dem rassischen Antisemitismus vor allem der SS christlich antijudaistische Motive entgegenzusetzen. Um diese Tendenz auszugleichen, hatte Schmitt den prominenten ‘Rassehygieniker‘ und SS-Hauptsturmführer Falk Ruttke als Vortragenden gewonnen, der sich in seinem Referat aber deutlich vom Organisator der Tagung abgrenzte, sodass Schmitt im Schlusswort auf ihn eingehen musste. Als ihm klar wurde, mit welcher Intensität die SS seinen Sturz zu betreiben begonnen hatte, entschied er sich nicht zum Rückzug, sondern zur Zusammenarbeit mit dem Erzfeind. Anfang Dezember schickte Schmitt, sich auf ein Einvernehmen mit Frank berufend, die gerade fertiggestellten Hefte der Reihe Das Judentum in der Rechtswissenschaft an Himmler. Doch die Unterwerfung kam zu spät. In dem SS-Organ ‚Das Schwarze Korps“ erschien am 3. Dezember ein Angriff auf Schmitt unter dem Titel Eine peinliche Ehrenrettung vom Chefredakteur Gunter d’Alquen; am 10. Dezember folgte ein zweiter Es wird immer noch peinlicher mit einer Blütenlese verfänglicher Schmitt-Äußerungen, die sich auf die „Deutschen Briefe“ des schweizerischen Emigranten und ehemaligen Schmitt Schülers Waldemar Gurian, auf verfeindete konkurrierende Kollegen wie den Staatsrechtler Koellreutter und Zuträgern des SD stützten. Schmitt erkannte die durch die Artikel entstandene gefährliche Situation und nahm Kontakt zu Göring und Frank auf. Während letzter Schmitt fallenließ und ihn aus ‚gesundheitlichen Gründen‘ aller Ämter im NSRB, der Akademie und der Herausgeberschaft der DJZ enthob, stellte sich Göring gegen Himmler und Heydrich und bewahrte ‚seinen‘ Staatsrat vor dem Zugriff der SS. Auch der Universitätsrektor hatte Schmitt nahegelegt, seine Vorlesungen abzusagen, was aber nicht geschah, vielmehr meldete ein SD-Spitzel eine betont begeisterte Begrüßung seitens der Studenten bei Schmitts Vorlesungsbeginn. Er behielt seinen Lehrstuhl bis 1945.
Schmitts Karriere in der NS-Funktionselite war mit dem Jahr 1936 beendet. War sein Aufstieg mit dem Verlust naher Freunde wie Georg Eisler, Ludwig Feuchtwanger, Franz Blei, Erwin Jacobi, Erik Peterson und anderen verbunden gewesen, gingen jetzt auch engere Kollegen wie Ernst Rudolf Huber oder Johannes Heckel auf Distanz.

Die NS-Zeit (1937-1945)

Die staatsrechtlichen Deutungen der nationalsozialistischen Bewegung waren spätestens nach dem 30. Juni 1934 gescheitert; Schmitt begann sich darüber allmählich klarzuwerden. Er richtete jetzt den Blick auf die Totalität des ihn umgebenden politischen Gemeinwesen und nutzte zu dessen Analyse das mythologische Schreckbild des biblischen Seeungeheuers Leviathan. Mit der Schrift Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (1938) berief er sich dabei auf Hobbes Entwurf eines christlichen Staates unter einem allmächtigen Souverän mit der natürlichen Einheit von Religion und Politik. Dieser Staat sei letztlich an seinem inneren Vorbehalt zugunsten der individuellen Freiheit gescheitert und damit die Epoche der Staatlichkeit an ihrem Ende. Verantwortlich für die Schwächung und schließliche Entmachtung des Souveräns seien die indirekten Gewalten gewesen, zunächst in Form unpolitischer privater Gewissensvorbehalte, durch – so Schmitts antisemitische Zuschreibung – „jüdische“ Denker von Spinoza bis Stahl befördert, später sei die ‚Staatsmaschinerie‘ durch „Mächte der Gesellschaft“ wie politische Parteien, Gewerkschaften und soziale Verbände zerstört worden. Sie hätten sich des Leviathans zur Schaffung einer bürgerlichen Gegenöffentlichkeit bedient und mit der liberalen Rechtsstaats-Doktrin die staatliche Macht neutralisiert. Eben diese Waffen benutzten auch die Nationalsozialisten, was Schmitt in den frühen 1930er Jahren mit dem politisch verstandenen Begriff des „totalen Staates“ habe verhindern wollen: das Abgleiten in die Omnipotenz einer totalitären Partei, bei der „die Bewegung“ an die Stelle des Staates tritt.

Mit Tochter Anima auf der Terrasse des Hauses in der Kaiserswerther Straße 17, Berlin-Dahlem. Mitte der 1930er Jahre.

Schmitt war in den 30er Jahren in Berlin mehrfach umgezogen. Nach dem kurzen Engagement (Sommersemester 1933) in Köln wohnte er mit Familie ab Wintersemester 1933 in Berlin-Steglitz am Fichteberg in unmittelbarer Nähe von Johannes Popitz. Mitbewohnerin der Villa war die Witwe des 1933 verstorbenen preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker. Im Oktober 1936, kurz vor seinem Sturz in der NS-Ämterhierarchie, zogen Schmitts um nach Dahlem in die Kaiserswerther Straße 17. In der Nachbarschaft waren die Forschungsstätten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, z.B. das nur 100 m entfernten KWI für Chemie, in dem Otto Hahn und Fritz Strassmann 1939 die Atomkernspaltung entdeckten, und das Harnack-Haus, in dem Schmitt häufig Gast war und Vorträge hielt. Gegenüber im spätexpressionistischen Gebäudekomplex Nr. 16-18 war die zentrale Finanzstelle des Mammutkonzerns Deutsche Arbeitsfront untergebracht, ab 1945 tagte hier die alliierte Kommandantur der Siegermächte, deren letzte Sitzung im Oktober 1990 staatfand. Der Kontakt zu Popitz blieb bestehen; von ihm erhielt Schmitt weiter Einblicke in die Funktionsabläufe des Regimes. Trotz der engen Freundschaft wurde Schmitt aber nicht Mitglied der sog. Mittwochsgesellschaft, in der Popitz eine prominente Rolle spielte und deren zunehmend regimekritische Ausrichtung er maßgeblich betrieb.

2. Hälfte 1930er Jahre

Das gesellige Leben im Hause Schmitt ist anhand von Tagebuch-Eintragungen, Erinnerungen Dritter und vor allem aus den Aufzeichnungen Duschkas über Gäste und Bewirtungen gut dokumentiert. Auffällig ist, dass wegen der zunehmenden Isolierung Schmitts in der Juristischen Fakultät sich zwar oft seine Schüler darunter befanden, auch ausländische Kollegen, aber nur wenige aus Berlin und von anderen deutschen Universitäten. Dafür kamen Gäste aus anderen Disziplinen wie der Soziologe Hans Freyer, der Rechtsphilosoph Carl August Emge, der Kirchenhistoriker Erich Seeberg, der Clausewitz-Experte General von Cochenhausen oder die Wirtschaftswissenschaftler Erwin von Beckerath und Jens Jessen. Alte Freunde wie Ernst und Gretha Jünger oder Lilly von Schnitzler und ihr Mann Georg machten in der Reichshauptstadt Station bei Schmitts. Anhand der Gästeliste entsteht der Eindruck, dass das Haus besonders für Künstler offen gewesen war, neben Besuchen von Emil und Ada Nolte wurden besonders die meist klammen Maler Werner Heldt und Werner Gilles versorgt, Duschka ging mit Seminarteilnehmern in das Atelier von Ernst Wilhelm Nay und durch die Freundschaft der Töchter gab es Kontakt zur einflussreichen Galerie Karl Buchholz, in der die Werke der verfemten Expressionisten immer noch im 2. Stock zu haben waren.

Carl Schmitts Interesse an Schriftstellern und Dichtern wechselte im Laufe der Jahrzehnte. Nach Theodor Däubler rückte nun vor allem der hermetische Dichter Konrad Weiß in den Focus, und neben Ernst Jünger gab es die Bekanntschaft mit Gottfried Benn. Bei Franz Schranz, Landarzt und Mäzen in Siedlinghausen im Ostsauerland, traf Schmitt nicht nur häufiger Konrad Weiß, sondern lernte auch das Malerehepaar Karl Caspar und Maria Caspar-Filser sowie die Bildhauer Karl Knappe, Eugen Senger-Platte und Josef Rikus kennen. Als der jugoslawische Gesandte und spätere Nobelpreisträger Ivo Andric ab 1939 in Berlin amtierte, entstand zwischen ihm und Schmitt eine engere Beziehung. Anlässlich der Europäischen Dichtertage 1941 in Weimar, arrangiert besonders für französische, zur Kollaboration bereite Schriftsteller, besuchte Drieu la Rochelle Schmitt in Dahlem. Auch Schmitts schon sehr frühes praktisches und theoretisches Interesse an Musik, die in Bonn zu einer lebenslangen Freundschaft mit dem Musikhistoriker Arnold Schmitz geführt hatte, wurde vertieft durch die Cembalistin Eta Harich-Schneider und den Tenor Peter Anders von der Staatsoper. Nicht wenige Freundschaften aber waren durch Schmitts NS-Engagement zerbrochen. Franz Blei rief dem Freund aus der Emigration ein melancholisches Adieu zu. Die zahlreichen jüdischen Freunde gingen auf Distanz, am schmerzlichsten war das sicherlich im Fall Georg Eisler, der als der engste Freund seines Lebens gelten kann.

Eintragungen im Gästebuch von Duschka Schmitt, 20. 1. 1940 (Serbisches Hauspatronatsfest Krsna Slava). Ivo Andric, Ilse Göring (Schwägerin von Hermann Göring), Ehepaare von Schnitzler und Jessen. Zur kompletten Liste der Gäste in Duschkas Gästebuch siehe "Netzwerke".

Der Jurist Schmitt legte nach seiner Entmachtung den Arbeitsschwerpunkt auf aktuelle völkerrechtliche Entwicklungen. So erschien mit Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriffs (1937) eine Übersicht zu neueren Veröffentlichungen des ausländischen völkerrechtlichen Schrifttums. Darin stellte Schmitt seitens angelsächsischer und französischer Völkerrechtsjuristen ein Ende der Möglichkeit von Neutralität fest. Durch die universale Ausweitung moderner Gerechtigkeitsideologien könnten jetzt Kriege im Namen von Moral und Gerechtigkeit geführt werden. Diese ‚gerechten‘ Kriege verwandelten den Feind in einen Verbrecher und machten das Kriegsrecht zum Strafrecht; sie duldeten keine Neutralität. Eine weitere Gelegenheit, in der Öffentlichkeit wieder zu erscheinen, ergab sich für Schmitt aus dem sog. Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und dem Münchner Abkommen anlässlich der Sudetenkrise. Mit dem geopolitischen Begriff „Großraum“ und dem Hinweis auf die amerikanische Monroe-Doktrin konnte er die NS-Europapolitik zum Ärger des ihn weiter beobachtenden SD beeinflussen.

Seine ‚konkrete Ordnung Völkerrechtsgemeinschaft‘ hatte er schon 1938 in einer seiner umfangreichsten Rezensionen zu dem voluminösen Werk Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur des gerade verstorbenen Historiker Christoph Steding vorgestellt. Dessen Reichsbegriff versuchte Schmitt in seinem Kieler Vortrag Der Reichsbegriff im Völkerrecht vom April 1939 von völkerrechtlicher Seite zu klären, indem er ‚Reiche‘ als führende Mächte definierte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahle und für den Interventionen fremdräumiger Mächte auszuschließen seien. Die Welt könne in verschiedene Großräume bei gegenseitiger Respektierung eines Interventionsverbotes aufgeteilt werden. Dabei beanspruche das Deutsche Reich den mittel- und osteuropäischen Großraum als ‚Leistungsraum‘ für sich. Der ausgearbeitete Vortrag erschien noch im selben Jahr mit dem Titel Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte (1939) im Deutschen Rechtsverlag. Die Resonanz war beträchtlich, vor allem fühlte sich die SS wieder herausgefordert und bemängelte die fehlende biologische und rassistische Grundlegung, statt völkerrechtliche sollte es ‚völkische‘ Großraumordnung heißen.

Nach Kriegsbeginn problematisierte Schmitt selbst in Neuauflagen den von ihm verwendeten Begriff des Reiches als neuen völkerrechtlichen Ordnungsbegriff durch Aufnahme weiterer Kapitel und bezeichnete die Ausgabe von 1939 als Dokument. Er entfernte in der 3. Ausgabe 1941 die von den SS-Juristen Best und Höhn inkriminierten Passagen. Gleichzeitig verbreitete er weiter seine Großraum-Vorstellungen in zahlreichen Vorträgen, wandte sich dann aber bei wachsender Distanz zum NS-Regime mehr der Geschichte der Rechtswissenschaften zu, beginnend mit seinem knappen Text über Die Stellung Lorenz von Steins in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts und dem großen Aufsatz Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten. Auf dem Nürnberger Historikertag im Februar 1941 ging er auf sein gewandeltes Staatsverständnis ein mit dem Vortrag Staatliche Souveränität und freies Meer. Darin schilderte er den Kampf um die Neuordnung der überseeischen Entdeckungen seit dem 16. Jahrhundert und die damit zusammenhängenden Fronten des Weltkatholizismus und des Weltprotestantismus sowie der Ausbildung der Begriffe „Staat“ und „Souveränität“. Diese Überlegungen wurden von ihm in zahlreichen Artikeln besonders zum Begriff „Raumrevolution“ weitergeführt und mündeten schließlich in sein letztes Buch im Dritten Reich Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung (1942). Aus den „raumhaften Grundtatsachen“ hätte sich das „christlich-europäische Völkerrecht der letzten drei Jahrhunderte, das jus publicum europaeum, entwickelt“, dessen Untergang wir derzeit erlebten.

Schmitt fühlte sich auf verlorenem Posten und sah sich gespiegelt in der Novelle Benito Cereno von Melville. In ihr wird der Spanier Benito Cereno, Kapitän eines vor der chilenischen Küste manövrierunfähig liegenden Schiffes mit einer Ladung Sklaven von Delano, dem Kapitän eines amerikanischen Robbenfängers besucht. Delano bemerkt das Seltsame der Situation, durchschaut sie aber erst, als er im Begriff ist, zu seinem Schiff zurückzukehren. Im letzten Augenblich springt Benito Cereno in Delanos Beiboot, um den meuternden Sklaven und deren Anführer Babo zu entgehen, dessen Losungsspruch „Folgt eurem Führer“ lautete. Ernst Jünger teilte mit Schmitt die Neigung zur symbolischen Form, dort etwa in den Marmorklippen, hier im Leviathan. Die Freundschaft zwischen beiden, die die Familien einschloss, wurde in diesen Jahren enger. Im Oktober 1941 besuchte Schmitt aufgrund einer Einladung des Deutschen Institutes Paris, hielt Vorträge, traf Jünger und sprach auch mit Friedrich Sieburg, Montherlant und erneut mit Drieu la Rochelle. In den nächsten beiden Jahren reiste Schmitt zu Vorträgen ins befreundete Ausland; nach Ungarn, Rumänien, Portugal und Spanien, wo er Ortega y Gasset kennenlernte. Am 16. Februar 1943 hielt er in Bukarest zum ersten Mal den Vortrag Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, in dem er die Einheit der europäischen Rechtswissenschaft aus der Rezeption des Römischen Rechts herleitete. In der Krise der gesetzesstaatlichen Legalität bestünde die Gefahr, dass die rationalisierende Leistung der Rechtswissenschaft als selbständige dritte Größe vom beschleunigten Wandel durch einen „motorisierten Gesetzgeber“ zerrieben würde. Dem habe sich im 19. Jahrhundert Savigny entgegengestellt, aber dann selbst die Beschleunigung der Gesetzgebung betrieben, er wäre zu einer „Unglücksfigur“ geworden, womit Schmitt sich vermutlich selbst mit seinem verfassungspolitischen Misserfolg charakterisierte. Die Rechtswissenschaft wurde ihm jetzt das „letzte Asyl des Rechtsbewusstseins“.

Die Luftangriffe auf Berlin hatten Ende 1942 zugenommen, in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1943 wurde das Haus Kaiserswerther Straße 17 durch eine Luftmine zerstört, Carl und Duschka Schmitt konnten sich knapp durch ein Kellerfenster retten, Tochter Anima war schon vorher nach Cloppenburg im Emsland gebracht worden, woher die Schwägerin Claire stammte, deren Tochter aus Köln ebenfalls dorthin evakuiert wurde. Im Dezember zogen Schmitts um nach Zehlendorf-Nikolassee. Der 20. Juli 1944 hatte drastische Folgen für einige von Schmitts Gästen, Popitz und Jessen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, der blinde Freund Wilhelm Ahlmann beging Selbstmord. Der Name von Schmitt tauchte in den Verhörprotokollen des SD auf. Im Wintersemester 1944/45 war Carl Schmitt der einzige Lehrstuhlinhaber der Juristischen Fakultät der Friederich-Wilhelms-Universität, der noch Vorlesungen und Seminare im Öffentlichen Recht und Völkerrecht anbot. Die letzte Vorlesung hielt er am 1. Februar, nach dem Großangriff der US-Luftwaffe am 3. Februar endete der Vorlesungsbetrieb; Schmitt war schon am 27. Januar zum 1. Aufgebot des Volkssturms eingezogen worden, wurde aber bereits am 8. Februar aus diesem wieder entlassen. 

1945 bis 1948 Kapitulation und Camp

Carl Schmitt erlebte das chaotische Ende des Krieges in Nikolassee. Dort fanden im April heftige Kämpfe mit den von Süden vorrückenden Russen statt, die schließlich den Südwesten Berlins eroberten. Die nächsten Wochen waren von Plünderungen, Vergewaltigungen und Selbstmorden dominiert. Während Schmitt in den geistlichen Gedichten Annette von Droste-Hülshoffs Trost suchte, bewährte sich seine Frau Duschka als überlegene Kraft, die dank ihrer Russischkenntnisse manche Konflikte beilegen konnte. Als er am Abend des 30. April verhaftet und zu einem Offizier auf die russische Kommandantur gebracht und verhört wurde, diskutierte der gebildete Offizier nach Klärung des belastenden Sachverhalts mit ihm über den Hegel-Schüler Bruno Bauer und schenkte ihm einen Aufsatz des sowjetischen Völkerrechtlers Korovin.

Lebensmittelkartenbezug 1947
Carl Schmitt, um 1945

Im April bezog Schmitt zum letzten Mal sein Gehalt als Professor, nachdem er im Februar beurlaubt worden war. Da Ersparnisse kaum vorhanden waren, hing die Familie in der Luft. Im Laufe des Jahres mussten sie einen Teil des Hausrats verkaufen. Später vermietete Duschka auch von der Wohnung in dem ohnehin schon mit Flüchtlingen belegten Haus Zimmer zur Untermiete. Um die überlebenswichtigen Lebensmittelkarten beziehen zu können, ließ sich Schmitt als „Wissenschaftler“ registrieren, sodass er am 18. Mai von der russischen Verwaltung die Schwerstarbeiter-Lebensmittelkarte erhielt, während seiner Frau nur die der 5. Klasse für Hausfrauen und ehemalige Nazis zustand; später erhielt Schmitt in der US-Zone eine Karte der Gruppe 3. Als er im Sommer das völkerrechtliche Gutachten für den inhaftierten Industriellen Flick fertig gestellt hatte, konnte die Familie von dem Honorar eine Zeitlang leben. Während dieser Zeit war ihre Tochter Anima weiter in Cloppenburg, wohnte bei einer Familie Wesseling und besuchte zusammen mit ihren beiden Cousinen das dortige Gymnasium.
In seinem Tagebuch räsonierte Schmitt während des Frühjahrs und Sommers über die totale Niederlage mit den schwersten Verwüstungen auf deutschem Boden seit dem dreißigjährigen Krieg, über die Ursachen von Hitlers Macht über das deutsche Volk und über seine eigene Beteiligung am dem NS-Regime. Die schon in den letzten beiden Kriegsjahren zusammengetragenen Exzerpte und Vorstudien zu seinem großen Werk Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus publicum Europaeum führte er weiter und arbeitete an dem bereits erwähnte Gutachten Das internationalsrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ‚Nullum crimen, nulla poena sine lege‘, das den Industriellen und Geschäftsmannes Flick gegen Anklage und Verurteilung wegen Beteiligung am Verbrechen des Angriffskrieges schützen sollte. Carl Schmitt machte in dem Gutachten auch seine Auffassung zu den NS-Verbrechen deutlich, wonach diejenigen, die für die planmäßigen Tötungen und Grausamkeiten, die das menschliche Fassungsvermögen überschritten, sich als Täter außerhalb des Rechts gesetzt hätten, zu outlaws geworden seien und entsprechend bestraft werden müssten.
Im Juli 1945 kamen amerikanische Truppen nach Berlin, das in vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde. Der Bezirk Zehlendorf-Nikolassee unterstand jetzt der US-Militärregierung. Die Amerikaner verfolgten in den ersten Jahren gegenüber dem besiegten Land eine andere Politik als die Sowjetrussen. Sie neigten zu kollektiver moralischer Verurteilung und organisierten die Entnazifizierung zunächst in umfangreichen Internierungen, eingeteilt in drei Gruppen: die eigentlichen Kriegsverbrecher, im Nürnberger Prozess abgeurteilt, in Personen, von denen die Besatzungsmacht eine Gefährdung ihrer Truppen befürchtete, und schließlich in die größte Gruppe, die man in „automatic arrest“ nahm. Sie umfasste fast die gesamte Funktionselite des Reiches, denen pauschal unterstellt wurde, alle Nationalsozialisten gewesen zu sein. Einen starken Einfluss hatte dabei die Beurteilung von Emigranten, von denen viele als Angehörige der US-Army zurückkamen. Dazu gehören auch mit Schmitt persönlich bekannte wie Karl Löwenstein, Ossip K. Flechtheim, Robert Kempner u.a.

Die Stempel der amerikanischen Besatzungsmacht in den beschlagnahmten Büchern der Schmittschen Privatbibliothek

Als Schmitt am 26. September 1945 verhaftet wurde, geschah das auf intensives Drängen von Löwenstein, der auch Schmitts Privatbibliothek am 16. Oktober beschlagnahmen ließ. Schmitt hatte sie aufgrund einer Vereinbarung mit dem Zehlendorfer Kulturbeauftragen Erich F. Podach Anfang Juni der Öffentlichkeit für die wissenschaftlichen Benutzung zur Verfügung gestellt. Er wurde zunächst im US Interrogation Center Berlin-Wannsee interniert, danach im Camp Lichterfelde, wo er im Februar einen umfangreichen Fragebogen ausfüllte, den er mit einem Entlassungsgesuch verband. Das daraufhin einberufene Spruchkammer-Verfahren mit deutschen Laienrichtern schlug auch aufgrund von Erklärungen angesehener Personen zugunsten Schmitts einstimmig dessen Entlassung vor. Dem schlossen sich die amerikanischen Behörden zunächst nicht an. Erst am 10. Oktober 1946 wurde er aus dem Interrogation Center in Wannsee entlassen, ohne Verurteilung oder Freispruch, wie es am Anfang auch kein formelles Verhaftungsdokument gegeben hatte. Im Nachhinein wird anhand der Unterlagen deutlich, dass es weder justizfeste Gründe für die Internierung gegeben hatte noch für die Sequestrierung der Schmittschen Privatbibliothek, die nach einigen Zwischenlagerungen seit Anfang 1946 in der Rechtsabteilung der US-Militärregierung zur Nutzung aufgestellt worden war. Doch den Verantwortlichen war klar, dass die Beschlagnahme den Eigentumstitel nicht berührte, weshalb alle ca. 4000 Bücher entsprechende Stempeleindrucke für die spätere Rückgabe erhielten.

Die Internierung überlebte Schmitt dank der steten Hilfe seiner Frau Duschka, die ihn mit Lebensmitteln und wärmender Kleidung versorgte, gespendet von Verwandten und Freunden. Der lebensunpraktische Gelehrte fand außerdem in zwei Mithäftlingen, dem Ministerialrat Wever und dem letzten Rektor der Berliner Universität, dem Orthopäden Lothar Kreuz, Hilfe, den Camp-Alltag zu bewältigen. Auch hier führte Schmitt Tagebuch trotz Schreibverbots, da ihm ein amerikanischer Arzt Rezeptblocks im Format DIN A 7 überließ, auf denen Schmitt seine Beobachtungen, die erneute Hinwendung zur katholischen Glauben und Klagen über sein Schicksal festhielt, die später Grundlage für sein Buch Ex captivitate Salus bildeten. Der katholische Lagergeistliche schmuggelte diese Texte, wie auch Schmitts Briefe an seine Frau, nach draußen.
Die Freiheit währte für Schmitt kein halbes Jahr. Am 19. März 1947 wurde er erneut vom amerikanischen Geheimdienst (CIC) verhaftet. Die Gründe dafür sind unklar, aber vermutlich haben Löwenstein und Ernst Niekisch hier eine Rolle gespielt. Nach Verhören durch Ossip K. Flechtheim überstellte ihn die Behörde am 29. März in das Gefängnis des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg. Seine Frau Duschka befürchtete nun, dass ihr Mann angeklagt und zu einer langen Haftstrafe verurteilt würde. Die Verhöre durch den Ankläger Robert W. Kempner waren allerdings eher moralische Vorwürfe als Vorbereitungen zu einer justizfesten Anklage. Nachdem Schmitt auf Kempners Anforderung Gutachten über Hitlers Großraum-Politik und das innere Machtgefüge der NS-Regierung verfasst hatte, konnte er Nürnberg verlassen und traf als freier Mann am 21. Mai in Plettenberg ein.

Plettenberg-Eiringhausen 1950er Jahre. Blick vom Fluss Lenne auf den Berg Saley.

Die letzten Jahrzehnte in Plettenberg – Brockhauser Weg 10 (1948 – 1970)

In dem 1938 erbauten Haus der Schwestern Auguste und Anna am Brockhauser Weg 10 in Plettenberg-Eiringhausen war auch nach dem Tod der Mutter 1943 und dem des Vaters 1945 nicht sehr viel Platz für die Neuankömmlinge aus Berlin, zumal Anima 1948 dazu kam, die 1951 in Plettenberg das Abitur machte. Duschka hatte in Berlin noch viel zu tun, den großen Haushalt aufzulösen und vor allem den Umzug durch die Besatzungszonen zu organisieren, was erst Ende Januar 1948 gelang, vor allem mit Hilfe der späteren Hausdame Anni Stand. Nach wie vor blieb Schmitts finanzielle Lage angespannt, Freunde halfen ihm in den nächsten Jahren, seien es einzelne oder in organisierten Zusammenschlüssen wie der Einrichtung eines Kontos für Spenden durch MdB Peterheinrich Kirchhoff aus der Nachbarstadt Werdohl oder der sog. ‚Academia Moralis‘ in Düsseldorf mit finanzieller Unterstützung, auch durch Vermittlung von Vorträgen, um Schmitt weiter ein öffentliches Forum zu bieten. Ab 1951 erhielt er eine Pension nach dem als G131 bekannten Gesetz zur Reglung der Rechtsverhältnisse der ehemaligen NS-Beamten.

Die nächsten Jahre waren überschattet von Duschkas Krebserkrankung. Sie wurde 1948 in Heidelberg operiert, konnte 1949 nach Plettenberg zurückkehren, musste aber bald zurück in die Heidelberger Krehl-Klinik, in der sie von deren Direktor und Freund der Familie Richard Siebeck betreut wurde. Während dieser Klinikaufenthalte besuchte Schmitt seine Frau oft und wohnte im Haus seines Freundes und Schülers Ernst Forsthoff. Duschka starb am 3. Dezember 1950. Die Klinikkosten übernahmen Freunde, beerdigt wurde sie auf dem katholischen Friedhof in Plettenberg-Eiringhausen, die Totenmesse hielt Schmitts Freund, der katholische Priester Hans Barion.

Carl Schmitt 1950er Jahre

Carl Schmitt war nach 1945 nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen wegen seiner Mitarbeit am NS-Regime verfemt, worüber er in seinem Tagebuch Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958 (Neuausgabe 2015) ausführlich und extrem selbstbezogen klagte. Hatte er noch in den 1945er Aufzeichnungen selbstkritisch sein Engagement ab 1933 reflektiert, führten die öffentlich erhobenen Forderungen nach Bekenntnis von Schuld und Reue bei Schmitt zur polemischen Ablehnung publikumswirksamer Eingeständnisse und zu ätzender Charakterisierung seiner Verfolger, die er unter dem Einfluss der Reeducation der Siegermächte sah. In dieser Situation erschienen seine ersten Veröffentlichungen in der Nachkriegszeit, ein Völkerrechts-Repetitorium sowie zwei Aufsätze und eine Besprechung ohne Verfasserangabe bzw. unter Pseudonym. Als er unter seinem Namen ab 1950 im Tübinger Universitätsverlag den bearbeiteten Vortrag Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft und im Kölner Greven Verlag die Schrift Ex captivitate salus und das Hauptwerk Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum publizierte, gab es zahlreiche ablehnende Artikel mit politisch-moralischer Grundierung – Von einem „starken Geist luziferischer Art“, von „morbider Gelehrsamkeit“ und „nihilistischem Existenzialismus“ war der Tenor.

Schmitt hielt in der ersten Hälfte der 50er Jahre zahlreiche Vorträge, deren Themen sich an seinen Veröffentlichungen orientierten, z.B. „Die Einheit der Welt“, „Der Gegensatz von Land und Meer“ oder „Das Problem des Friedens“. Von akademischer Lehrtätigkeit ausgeschlossen, nahm er 1957 die Einladung des Philosophen Joachim Ritter an, um in dessen Münsteraner Collegium Philosophicum erstmals wieder an einer Universität vorzutragen. Auch nahm von 1957 bis 1967 fast jährlich an den von Forsthoff organisierten Ebracher Seminaren teil.

Vor dem Haus Brockhauser Weg 10 in Plettenberg 1950er Jahre v.l.n.r.: Rüdiger Altmann, Carl Schmitt, Anni Stand, Walter Petwaidic

Neben diesen Tätigkeiten schuf Schmitt mit seiner täglichen Briefpost ein Art Gegenöffentlichkeit, die weit mehr als 10.000 Briefe, fast immer handschriftlich, umfasste. Briefpartner waren nicht nur alte Freunde und Bekannte, wie Ernst und Gretha Jünger, Heinrich Oberheid, Hans Barion, Ernst-Rudolf Huber, Hans Freyer, Arnold Gehlen, Lilly von Schnitzler, Hans Schneider, Giselher Wirsing und andere, sondern bald auch jüngere wie Johannes Gross, Rüdiger Altmann, Nicolaus Sombart, Heinrich Popitz, Hanno Kesting, Reinhart Koselleck, Roman Schnur, Peter Scheibert, Rudolf Augstein, Walter Warnach, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Armin Mohler, Bernard Willms und viele weitere, von denen manche zu Besuchen nach Plettenberg kamen. Aus dem Ausland reisten an Sava Klickovic aus Jugoslawien, der 1940 bei Schmitt promoviert hatte, Julien Freund aus Frankreich und George Schwab aus den USA, Piet Tommissen aus Belgien, Javier Conde, Tierno Galvan uns Álvaro d’Ors aus Spanien. Neben der Briefpost begann Schmitt ab 1947 bis 1974 eine umfangreiche Versandaktion seiner eigenen Publikationen. Die Liste der Empfänger von Büchern und Soderdrucken ist auf der Grundlage der schriftlich  erhaltenen Notizen rekonstruiert worden

Carl Schmitt am Stehpult in seinem Arbeitszimmer 1961. Das Bild ist von Werner Heldt „Rathaus in Berlin“ (1928)
Carl Schmitt. Sommer 1963. Rückseitig beschriftet „faciesque simillima fato“ (Lukan, Pharsalia)

Da Schmitt im Brief und vor allem im Gespräch ein großer ‚Menschenfänger‘ war, wurden die Besucher durch seine Gastfreundschaft und intensive Gespräche in seine Gedankenwelt eingeführt und oft in ihren weiteren Arbeiten beeinflusst. Auch wenn es um die großen Themen wie Ost-West-Gegensatz, Dominanz der technisch-industriellen Welt, Entwicklung und Folgen kriegerischer Waffen bis zum Partisanentum und Politische Theologie ging, wurde die aktuelle Situation der Bundesrepublik nicht ausgeblendet, was Aufzeichnungen auch aus dem Nachlass belegen, etwa zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der Dominanz der Parteien und der ‚gesellschaftlichen Kräfte‘, die den bürgerlichen Rechtsstaat in einen pluralistisch verfassten Wirtschafts- und Verwaltungsstaat der Industriegesellschaft überführten. In den bisher veröffentlichten Briefwechseln zeigt sich wie im Fall von Ernst und Gretha Jünger gleichzeitig, dass gerade nach 1945 ein Distanzierung zwischen den alten Partnern eintrat, die auf die unterschiedliche Haltung zur NS-Vergangenheit beruhte wie auch auf den Erfolg in der frühen Bundesrepublik, die Schmitt den bisherigen maudits Ernst Jünger, Gottfried Benn und anderen neidete, was auch die Eintragungen im ressentimentgeladenen Glossarium bis in die späten 50er Jahre belegen. Als sein alter Schüler und Staatsrechtskollege Ernst-Rudolf Huber mit ihm über die Gründe der eigenen Beteiligungen am Dritten Reich und dessen Vernichtungssystem sprechen wollte, ließ sich Schmitt auch darauf nicht ein.
In seiner Heimatstadt war Schmitt zwar kein Unbekannter, aber das ‚offizielle’ Plettenberg nahm erst zu seinem 90. Geburtstag Kenntnis von ihm mit Verleihung des Ehrenringes der Stadt. Auch wenn er öfter auf seine moselländische Herkunft verwies, bekundete er über Jahrzehnte hinweg in den Tagebüchern seine Neigung zur sauerländischen Heimat, in der er sich in schwierigen Lebensphasen durch ausgedehnte Wanderungen erholte und eben auch Zuflucht fand hatte. Mit den Worten seines Dichterfreundes Konrad Weiß beschrieb er die ‚schlafenden‘ Berge der märkischen Landschaft, deren Verhaltenheit, oft in Nebel oder Regen eingehüllt, den Zusammenprall von atlantisch-ozeanischer Feuchtigkeit und dem festen Land von Basalt und Granit.

Heinz Holthaus, Anima Schmitt. Porträtkopf, Anfang der 1950er Jahre, eingefärbter Gips

Im Alltag führte seit 1950 Anni Stand den Haushalt und bewirtete die Gäste. Tochter Anima war nach dem Abitur 1951 in München und Darmstadt, um Bühnenbildnerin zu werden und ging 1954 nach Heidelberg, um im Dolmetscher-Institut Spanisch und Französisch zu lernen. 1957 heiratete sie den spanischen Juristen Alfonso Otero und führte in Santiago de Compostela ein Familienleben mit vier Kindern und dank des berühmten Vaters einem gesellschaftlich dominierenden großen Bekanntenkreis. Schmitt reiste seitdem bis 1970 jedes Jahr im Sommer nach Spanien, wo er als großer Gelehrter gefeiert wurde, Vorträge an den bedeutenden Universitäten hielt und in Madrid Ehrenmitglied des Instituto Estudios Politícos wurde. In Plettenberg wie früher in Berlin hatte Schmitt bald Kontakte zu Künstlern in der näheren Umgebung. Dazu gehörten der Maler Wilhelm Wessel in Iserlohn, der Künstler und Pädagoge Hugo Kükelhaus in Soest, der Maler Hubert Berke im Rheinland und dessen enger Freund, der Bildhauer Heinrich Holthaus in Plettenberg. Er hatte während des Krieges in der Berliner Ateliergemeinschaft Klosterstraße mit Gilles, Heldt und Kaspar zusammengearbeitet einen Porträtkopf von Anima modelliert. 

Carl Schmitt und Fraga Iribarne, Madrid 1963
Carl Schmitt und der spanische Rechtsgelehrte Álvaro d’Ors  Sommer 1964 an der Kathedrale in Santiago de Compostela

Bei Kammer-Musikabenden musizierten Schmitts Schwester Ännchen als Klavierlehrerin und der Arzt Hendryk Bakowsky. der seine Frau Anne, einer bekannten Pianistin, am Cello begleitete. Schmitt nahm auch am Kulturleben der Stadt teil, besonders wenn Gäste auftraten, die er aus Berliner Zeiten kannte, wie dem Schauspieler Mathias Wiemann oder dem Tenor Peter Anders, der nach einem Abend im Brockhauser Weg tödlich verunglückte.
In den 50er Jahren hatte Carl Schmitt zwar ein juristisches Gutachten zum Problem der Vereinbarkeit von Rechtsstaat und Sozialisierung verfasst, die Neuauflage seiner berühmten Verfassungslehre im Hausverlag Duncker & Humblot bewirkt und ältere Aufsätze mit aktuellen, die Entwicklung der Bundesrepublik kommentierenden Glossen in den Verfassungsrechtlichen Aufsätzen publiziert, er wandte sich nun aber mehr geschichtsphilosophischen, literarischen und zeitdiagnostischen Themen zu. Neben zahlreichen kleineren Rezensionen in der Zeitschrift Das historisch-politische Buch und sog. Corollarien zum Thema Nomos verfasste er mehrere größere Beiträge zur Deutung der Zeit. In dem Aufsatz Drei Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes (1950) in der Zeitschrift Universitas setzte Schmitt sich mit Karl Löwiths Veröffentlichungen zur modernen Geschichtsphilosophie auseinander und beschrieb die eigene Position anhand der christlicher Teleologie vom ‚Katechon‘ und der ‚großen Parallele‘, die in ein an Konrad Weiß orientiertes epimetheisches Geschichtsbild mündete. In dem Beitrag Die Einheit der Welt (1952) im Merkur zeigte Schmitt, dass für ihn die beiden Blöcke im Kalten Krieg in der ideologischen Einheit einer Geschichtsphilosophie der technisch-industriellen Fortschrittswelt stünden. Gegen deren Konvergenz in einer planetarischen Einheit reiner Technizität setzte er auf einen Durchgang zu einer neuen Vielheit. Diese Sicht führte er weiter in seinem Beitrag zu einer Festschrift für Ernst Jünger Die geschichtliche Struktur des heutigen Weltgegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift Der gordische Knoten (1955). Darin distanzierte er sich vom Jüngerschen Denken in Polaritäten und entwickelte dagegen eine geschichtlich-dialektische Struktur aus dem Gegensatz von Land und Meer, die zu elementar verschiedenen Existenzmöglichkeiten des Menschen führten; er verzichtete aber auf eine Antwort auf „die Frage nach der Frage“ angesichts bloßer Wiederholungen geschichtsphilosophischer Sinngebungen, denn eine geschichtliche Wahrheit sei nur einmal wahr.

Ostern 1968
Rückseite des Fotos mit eigenhändiger Beschriftung

Als Medieninteressierter hatte Schmitt sich schon früh Filmvorführungen angesehen und ab Anfang 1930er Jahre im Rundfunk Vorträge gehalten; nun verfolgte er im sauerländischen Exil genau die Resonanz auf seine Veröffentlichungen und legte Listen der verschickten Bücher, Sonderdrucke oder Pressemitteilungen an. Das galt z. B. für die selbständigen Schriften wie dem Lehrgespräch über Die Macht und den Zugang zum Machthaber (1954). Darin erörterte er die Dialektik von Macht und Ohnmacht des Mächtigen durch seine Abhängigkeit von den ‚indirekten‘, den mit Hintergrundfiguren bevölkerten Vorhof der Macht. 1956 kam es zu einem Ausflug in die Literatur und Literaturkritik anhand von Shakespeares Hamlet in Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel. In Schmitts umstrittener Deutung des Bühnenstückes als politisches Werk verband er Hamlet mit dem damaligen König James als tragischer Figur, dessen Mutter den Vatermörder heiratete, was alle wussten, aber nicht gesagt werden durfte. Dieser Einbruch der Zeit einer geschichtlichen Gegenwart in das Spiel wäre der Ursprung der mythischen Kraft dieses Dramas, die bis ins 20. Jahrhundert gewirkt habe. Schon während des Krieges hatte Schmitt die für ihn wichtige mythische Figur in Hermann Melvilles gleichlautender Novelle Benito Cereno entdeckt. Die Faszination für diese in ausweglose Situationen, verlorene Posten und in ungeklärte Betrügereien verwickelten Figuren setzten sich fort im Münsteraner Wiedertäufer Bockelson, dem preußischen Dichter Heinrich von Kleist oder in Kaspar Hauser und dem falschen Demetrius. Was dann kulminierte in Schmitts Selbstverständnis als eines christlichen Epimetheus im Sinne seines Dichterfreundes Konrad Weiß, der das über ihn verhängte Geschehen annimmt und nicht das Gedachte noch einmal denken will, da man nicht zweimal durch denselben Fluss gehen kann. Schließlich gehört auch dazu die immer wiederkehrende Formulierung von Léon Bloy „tout ce qui arrive est adorable“.

Ansichtskarte „Francisco Goya, Partisanenüberfall 2. Mai 1808“ (Prado, Madrid), die Carl Schmitt anlässlich der Theorie des Partisanen verschickte.

Eine seiner einflussreichsten Schriften, Der Begriff des Politischen, war seit den 1930er Jahren nicht wiederaufgelegt worden. Besonders auf Drängen von Ernst-Wolfgang Böckenförde entschloss sich Schmitt 1963 zu einer Neuauflage mit einigen Corollarien und einem umfangreichen, verfassungsgeschichtlichen Vorwort, das auch die Deutungsgeschichte berücksichtigte. Parallel zu dieser Schrift veröffentlichte er die Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. In dem von ihm diagnostizierten Weltbürgerkrieg hatte das klassische Kriegsrecht mit seiner Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten aufgehört zu existieren. Es traten neue Akteure auf wie der Partisan, der einerseits tellurisch an den zu verteidigenden Boden gebunden sei und an interessierte Dritte zur Unterstützung, der sich andererseits in der antikolonialistischen Bewegung der dualistischen Struktur des Kalten Krieges nicht mehr füge und so im weltpolitischen Zusammenhang agiere. Gleichzeitig erörterte Schmitt die Wandlungen des Feindbegriffes, der durch das große Vernichtungspotential moderner Waffen zu einem neuen Feindbegriff führen müsse: die absoluten Vernichtungsmittel erforderten den absoluten Feind, um angewendet werden zu können.

TV-Interview mit Carl Schmitt „Ist der Parlamentarismus noch zu retten? Carl Schmitt und die Krise der Demokratie“ mit Rüdiger Altmann und Jens Litten im Juni 1970. Rüdiger Altmann und Jens Litten

Über das Thema Partisanen führte Schmitt mit dem Sinologen, Maoisten und Journalisten Joachim Schickel ein Rundfunkgespräch, dem sich später noch eines über Hugo Ball anschloss, in dem es nicht nur um dessen Werke, sondern auch um die Weimarer Zeit, Politische Theologie und Erik Peterson ging. Höhepunkt dieser medialen Öffentlichkeit war das im Juni 1970 aufgenommene TV-Interview „Ist der Parlamentarismus noch zu retten? Carl Schmitt und die Krise der Demokratie“ mit Rüdiger Altmann und dem 68er Jens Litten, in dem der Verfassungsrechtler Schmitt souverän mit den Fragenden umging und die Themen bestimmte. Parallel dazu erschien im ‚Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt‘ der Bericht über ein Gespräch, in dem Litten Schmitts Äußerungen zusammenfasste, Konservativismus sei unzeitgemäß und hätte keinen Platz mehr in der Gesellschaft. Nun sahen alte und jüngere Freunde wie Barion, Forsthoff, Krauss, Armin Mohler und weitere Carl Schmitt in den Fängen der Neuen Linken, was ihn aber bei seiner Auffassung von der sich wandelnden aktuellen Lage nicht sehr interessierte.

Bungalow ‚San Casciano‘ in Plettenberg-Pasel
Rückseite des Fotos
Hausdame Anni Stand. Anfang der 1970er Jahre

Die letzten Jahrzehnte in Plettenberg – Pasel (1970 – 1985)

Ab Herbst 1970 bis zu seinem Tod lebte Carl Schmitt in einem ebenerdigen Bungalow im Dorf Pasel, 10 Kilometer entfernt von seinem bisherigen Domizil Brockhauser Weg 10 in Plettenberg-Eiringhausen. Erbaut hatte ihn seine Hausdame Anni Stand mithilfe des befreundeten Architekten de Vries und der Unterstützung weiterer Freunde. Diese neue häusliche Umgebung war ganz auf den mehr als achtzigjährigen Gelehrten zugschnitten – ein großer Wohnraum mit einer Fensterfront sorgte für Tageslicht, drei Bücherregale, Stehpult und Schreibtisch fehlten ebenso wenig wie ein Klavier, das den Flügel im früheren Musikzimmer ersetzte, gestiftet von Johannes Gross. Der Dorfschmied brachte an die rückwärtige, zum kleinen Garten und den Lennewiesen gerichtete Hausfront mit metallenen Lettern den Schriftzug „San Casciano“ an, in Erinnerung an Machiavellis Verbannungsort in der Toskana.

Mit Neugier erwartete er wie schon in Eiringhausen die tägliche Post, in der sich zunehmend die internationale Rezeption besonders in Italien, Spanien, Frankreich und den USA zeigte. Mehrere seiner Hauptwerke waren dank des Einsatzes von Experten übersetzt worden – in Frankreich waren das Julien Freund und André Doremus, in Spanien Javier Conde und Francisco Ayala, in Italien Francesco Mercadante, Antonio Caracciolo und Pierangelo Schiera, in den USA George Schwab und Gary Ulmen.

Die jährlichen Reisen nach Spanien, zum Ferienseminar nach Ebrach seines Schülers Forsthoff und andere zu Freunden und Verwandten kamen nicht mehr infrage. Der letzte Besuch in Santiago der Compostela war 1968 zum 80. Geburtstag mit einer akademischen Feier, bei der sein Schüler Forsthoff die Festrede hielt. Im folgenden Oktober wurde Carl Schmitt im Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Club die zweibändige Festgabe „Epirrhosis“ überreicht, nachdem er schon 1953 eine erste Festschrift bekommen hatte, die nicht zum Druck gelangte und 1958 die zweite Festschrift mit einem Jahr Verzögerung gedruckt erschien und in der Zunft sofort erhebliche Irritationen auslöste. Seitdem machten standardisierte Abgrenzungsrituale die Runde und in Dissertationen zum Werk und Wirken des Gelehrten wurden die Polarisierungen der Rezeption zwischen dem Occasionalisten und dem Theoretiker der 20. Jahrhundert-Krisen ausgebreitet.

Der katholische Kirchenrechtler Hans Barion (1899-1973), Anfang der 1970er Jahre

Das 2. Vatikanische Konzil hatte im Schmitt-Kreis unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen, Barion sah ein „humanistisches Appeasement“ der Kirche, Ernst-Wolfgang Böckenförde dagegen positive ‚Durchbrüche’ zur Anerkennung der Religionsfreiheit. Im Kontext dieser Debatte entstand Carl Schmitts letztes Werk Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie. Darin widerlegte er die Kritik an Politischer Theologie seines alten Bonner Freundes Erik Peterson als Produkt der protestantischen Krisentheologie mit ihrer Fiktion der Trennung von Religion und Politik. Damit zielte er gleicherweise auf Barions Standpunkt der Zwei-Reiche-Lehre, dem er die ‚res mixtae’ von Geistlich und Weltlich gegenüberstellte, in der der irdische Mensch sein Tun ausrichte. Im Schlussteil des Buches setzte sich Schmitt mit Hans Blumenbergs „Legitimität der Neuzeit“ auseinander, dessen emanzipierten ‚Neuen Menschen‘ er als Produkt der vollendeten Reformation verstand, der sich selbst zerstöre. Ohne die Hilfe von Böckenförde bei der praktischen Manuskript-Herstellung und Betreuung des Druckprozesses wäre dieses Werk ebenso wenig entstanden wie der späte Aufsatz von 1979 Die legale Weltrevolution. Politischer Mehrwert als Prämie auf juristische Legalität und Superlegalität.

Hausmusik in ‚San Casciano‘, Plettenberg-Pasel. 1970er Jahre. Anne Bakowsky (Klavier), Henryk Bakowsky (Cello)

Auch in Pasel wurde der Besucherstrom in den ersten Jahren nach dem Umzug nicht geringer. Neben den Vertrauten wie Johannes Gross, Ernst-Wolfgang Böckenförde, George Schwab und Sava Klickovic kamen Reinhart Koselleck, Hans-Dietrich Sander, Julien Freund u. a. Mit Marianne Kesting erörterte er immer wieder das Thema ‚Benito Cereno‘ oder mit dem Historiker Christian Meier das Problem, ob der Begriff Staat auch vor der frühen Neuzeit verwendbar sei. Bei den Verlagskontakten mit den Besuchern Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest ging es um den Wiederabdruck zentraler älterer Beiträge in einem Band, was sich ebenso zerschlug wie die langjährigen Bemühungen von Böckenförde, Koselleck und Joseph Kaiser, staats- und völkerrechtliche Schriften in Sammelbänden zu veröffentlichen. 1972 stimmte Schmitt noch einmal einem längeren Rundfunk-Interview zu. Dieter Groh und Klaus Figge diskutierten zwei Tage lang mit ihm über Herkunft, Studienzeit und über die Lage 1932/1933.

Ernst Jünger und Carl Schmitt in Plettenberg-Pasel. August 1974
Im Gespräch mit Joseph Kaiser (links) und Johannes Gross (rechts)

Neben wissenschaftlichen Besuchern gab es auch für die Dorfnachbarn und einige Plettenberger Bekannte gab es Einladungen zum Tee oder wie schon früher zu Hausmusikabenden mit dem Arztehepaar Bakowski, wobei sie Klavier und er Cello spielte.
Manchen Anstrengungen war der jetzt über Achtzigjährige nicht mehr gewachsen, eine Lungenentzündung und ein leichter Herzinfarkt beeinträchtigten den Lebensrhythmus. Auch hatten sich einige alte Freunde abgewendet oder waren wie Forsthoff und Barion gestorben; Allerdings kamen nach langer Pause Ernst Jünger und Schmitts Bonner Schüler Werner Weber zu Besuch. Von dem Historiker Christian Meier stammt eine Beschreibung der Empfangsrituale in San Casciano, indem er sie mit denen bei einem (geistigen) Hof verglich. Nach dem Empfang am Eingang durch die Hausdame Anni Stand trat Carl Schmitt nach angemessener Zeit aus seinem Zimmern in den großen Wohnraum, oft in leichtem Morgenmantel, begrüßte den Gast herzlich und verwickelte ihn sofort in ein Gespräch, oft zu Themen, die dem Gast vertraut waren, danach kam man zu solchen, die Schmitt seit Jahrzehnten bewegten. Da war es für Gäste nicht leicht mitzuhalten, sie begegnetem einem intellektuellen Magnaten.
Die Kommunikation mit dem alten Gelehrten wurde nun zunehmend beeinträchtigt durch seine Schwerhörigkeit, was auch nach Versiegen des Briefschreibens den Kontakt am Telefon betraf. Anni Stand und jetzt auch vermehrt Schmitts Tochter Anima betreuten ihn, die jüngeren Freunde Ernst Hüsmert und Gerd Giesler halfen auf unterschiedliche Weise.

Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Edition Maschke im Hohenheim Verlag, Köln 1982. Schutzumschlag

In der Wende der 70er zu den 80er Jahren kam es noch zu zwei folgenreichen Begegnungen. Mit dem jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes, der sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in Seminaren und Tagungen zur Politischen Theologie mit Schmitt befasst und darüber mit ihm Briefe ausgetauscht hatte, traf er sich drei Mal zu Gesprächen in Pasel, die nach Taubes die stürmischsten waren, die er je geführt habe. und deren Inhalt er „unter priesterlichem Siegel“ verschlossen halten müsse. Die andere begann Ende 1979, als sich Günter Maschke brieflich vorstellte. Der Ex-Linke, Bloch-Begeisterte und aus kubanischen Asyl Zurückkehrende hatte sich in der FAZ und im Hessischen Rundfunk kritisch und zugleich kenntnisreich über Schmitt geäußert, was dieser mit seiner Witterung für ausgefallene Typen sofort wahrnahm. Telefongespräche und Besuche in Pasel folgten. Als 1980 Maschke im Deutschen Ärzte Verlag seine verlegerische Tätigkeit mit der edition maschke begann, bekam er mit Unterstützung von Tochter Anima die Rechte an fünf bisher nicht wieder veröffentlichten Titeln, kulminierend mit dem Leviathan von 1938. Durch Intrigen beim Mutterverlag sollte Maschke auf den Druck verzichten, er aber stand treu zum Vertrag und Autor, das Werk wurde gedruckt und ausgeliefert, drei Monaten später die Edition eingestellt.
Noch im Haus Brockhauser Weg hatte Carl Schmitt mit dem Bundesarchiv in Koblenz Kontakt wegen seines umfangreichen Nachlasses aufgenommen, von dessen wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung er überzeugt war. Als sich diese Verhandlungen zerschlugen, kam durch Schmitts Schüler von Medem das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zum Zuge. Nachdem 1975 der Vertrag geschlossen war, wurden die 800 Kartons nach und nach abgeholt und in einem ersten Findbuch in den 90er Jahren erschlossen.

90. Geburtstag am 11. Juli 1978
Carl Schmitt und Ernst Jünger im Gespräch

Ein letzter Höhepunkt wurde die Feier zum 90. Geburtstag am 11. Juli 1978 in dem Berggasthof Tanneneck, zu dem die Familie aus Spanien mit allen Enkeln kam, ebenso Schüler und Freunde, dazu Plettenberger Nachbarn und Vertraute. Bürgermeister Baberg überreichte Carl Schmitt den Ehrenring der Stadt, Joseph Kaiser hielt die Laudatio, Ernst Jünger eine improvisierte Festadresse, der Geehrte sprach ein Dankwort. Auch seit langem auf Distanz gegangene Schüler und ehemalige Kollegen gratulierten wie Ernst Rudolf Huber und Ulrich Scheuner, selbst Ernst Friesenhahn, der Schmitt nach 1945 scharf angegriffen hatte.

 

 

 

 

 

 

Zur Identifizierung der Personen, die auf dem unten abgebildeten Foto der Festgemeinde des 90. Geburtstages zu sehen sind, kann dieses Schaubild mit Legende hilfreich sein.

Das Foto entstand anlässlich Carl Schmitts 90. Geburtstag, der im Bergrestaurant „Tanneneck“ in Plettenberg gefeiert wurde. © Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.
Carl Schmitt am 11. Juli 1984. © Foto Wengenroth
Kai nomon egnō („und er erkannte den Nomos“) – Grabstein auf dem katholischen Friedhof Plettenberg-Eiringhausen

Seit 1982 litt Carl Schmitt an Demenz und wurde ein Pflegefall. Jetzt bedrängten ihn Wahnvorstellungen, in denen ein Höllenlärm ihn terrorisierte und deren Urheber er mit dem Namen ‚Kra‘ aus Däublers Nordlicht identifizierte. Nachdem seine Tochter im Juni 1983 in Spanien gestorben war, schwieg er einige Zeit und erwähnte den Verlust nicht mehr. An der kleinen Feier zu seinem 95. Geburtstag mit den Enkeln aus Santiago und einigen Freunden nahm er noch teil und versank dann in seine Wahnwelten.

Sylvester 1984 stürzte Carl Schmitt, im Krankenhaus verweigerte er jede Nahrung und starb am Ostermontag1985. Die Exequien zelebrierte der Limburger Domkapitular Werner Böckenförde. Der Grabstein auf dem katholischen Friedhof in Plettenberg-Eiringhausen über dem Fluss Lenne trägt die griechische Inschrift Kai Nomon Egno.In Vers 3 der Odyssee heisst es, Odysseus habe vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt („πολλῶν δ‘ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ νόον ἔγνω“). Der Jurist Schmitt hebt als letzte Botschaft den Nomos (νόμος, νόμον) als Sinneinheit eines Ortes hervor.